Die Dynamiken unserer digitalen Arbeitswelt fordern Unternehmen heraus - und eröffnen Chancen. Wie sich Personaler*innen, Fach- und Führungskräfte aufstellen, um sinnvoll und nachhaltig zu leben und zu arbeiten, erklärt mir Manuela Dollinger im Interview.

Was ist das Besondere an unserer Arbeitswelt heute?

Ich vergleiche unser modernes Leben gerne mit einem Rafting-Boat. Wir sitzen alle in diesem Boot und wissen nicht, was uns hinter der nächsten Kurve erwartet. Landen wir in einem friedlichen Gewässer oder geraten wir in eine Stromschnelle? Regnet es, steigt der Wasserstand oder schippert noch jemand vor uns? Genaugenommen wissen wir nichts. Alles ist möglich. Wir sind mit Phänomenen konfrontiert, die wir bislang nicht einmal erahnten. Corona ist ein plakatives Beispiel dafür. Wer hätte gedacht, dass wir eines Tages abhängig von Online-Formaten sind und Remote-Kollaboration zum ‚Must-have' mutiert?

Heute fragen wir uns: Was bringt uns in unserer dynamischen und komplexen Welt nachhaltig weiter? Was stärkt und navigiert uns, wenn alles undurchsichtig und unplanbar ist?

Solange die Zeit und das Umfeld berechenbar waren, waren wir mit dem Kopf gut beraten. Doch wenn wir nichts wissen, hilft unsere Ratio nicht weiter. Nutzwertanalysen laufen ins Leere, Patentrezepte haben sowieso ausgedient.

Wie schaffen es Menschen, durch unsichere Gewässer zu navigieren?

Heute lässt sich nicht mehr linear fortschreiben, wie sich unser Tun auswirkt: auf unsere Umwelt, auf unser Team, auf die Politik, auf unsere Gesundheit, auf uns selbst - auf was auch immer. Vielmehr gilt: die Komplexität nimmt zu, so dass uns Informationen und Entscheidungsoptionen geradezu überschwemmen. Diese Fülle kann unser Verstand nicht mehr händeln. Die Vernunft versucht, Informationen zu ordnen, sie zu selektieren und zu fokussieren. Damit hilft uns unsere Ratio nicht wirklich weiter – sie verengt unsere Perspektive.

Nicht die rationale Reduktion hilft uns in der Komplexität, sondern die Intuition. Die Intuition ist fantasievoll, ihr Wesen ist Weite. Sie lässt unendlich kreative Ideen und vollkommen neuartige Ansätze zu.

Ist die Intuition so etwas wie ein Supernavigator unserer Zeit?

Die Intuition ist in jeder und jedem von uns vorhanden. Doch leider haben wir modernen Menschen verlernt, unser unbewusstes Wissen wahrzunehmen. Mal zeigt sich die Intuition als Gefühl im Bauch. Dann vernehmen wir sie als innere Stimme, die uns durch schwierige Situationen navigiert. Das Schöne für mich und alle anderen Coachs, Trainer*innen oder Berater*innen ist: 

Es gibt vielfältige Methoden, die spielerisch dabei helfen, unsere intuitive Quelle anzuzapfen: das intuitive Schreiben, Strukturaufstellungen, Übungen aus der Kunsttherapie oder Lego® Serious Play®. Ja, die Intuition ist ein wichtiger Kompass in unserer Zeit. 

Ich persönlich nutze für mich immer beides, wenn ich etwas zu entscheiden habe: die rationalen und die intuitiven Methoden. Ich weiß: Nur wenn sich mein Bauch warm und wohlig anfühlt, kann ich eine risikoreiche Entscheidung treffen und danach ruhig schlafen. Die intuitiven Methoden führen ins Vertrauen und geben mehr Sicherheit. Nichtsdestotrotz gibt es eine weitere Schlüsselressource, die für mich als Superpower der Zukunft noch höher im Kurs steht: die Selbstreflexion.

Welches Potenzial entfaltet die Selbstreflexion in unserer Zeit?

In den fluiden Strukturen unserer Arbeitswelt sind Menschen mehr denn je auf sich selbst angewiesen. Sie sind gefordert, aus ihrem dynamischen Umfeld zu lernen und immer wieder aus eigener Kraft zu erkennen, was in jedem neuen Moment gefragt ist. Wir leben in einer diversen Welt. Menschen handeln anders als wir erwarten. In welcher Kultur andere groß geworden sind, beeinflusst, wie sie agieren und sich verhalten. Die Ziele derer, mit denen wir zusammenarbeiten und -leben, sind unterschiedlicher denn je. 

Nur wer sich selbst reflektiert, lernt Neues dazu, lernt um, gestaltet ein sinnvolles Miteinander und ist wirklich teamfähig.

Was heißt das konkret: Nur wer sich selbst reflektiert, ist wirklich teamfähig?

Nun, wir lernen aus den Reaktionen anderer, das ‚Ich' braucht das ‚Du'. Ohne ein Gegenüber ist es unmöglich, persönlich zu wachsen. Das heißt: Läuft etwas nicht wunschgemäß, neigen viele dazu, die Schuld bei anderen zu suchen. Das heißt auch: Wer Verantwortung abgibt, fühlt sich ohnmächtig und macht sich selbst zum Opfer. Das deprimiert und blockiert Teams darin, gute Lösungen zu entwickeln. Doch wer sich selbst reflektiert, fragt sich: Wie habe ich das Geschehen beeinflusst? Was kann ich verändern, damit es besser läuft? Was kann ich tun, damit wir gemeinsam wachsen? Auch wenn wir nicht sicher wissen, welche Kreise unser Wirken zieht, gilt: Jede und jeder Einzelne hat die Macht, ihren und seinen Kontext zu gestalten. Das ist besonders ermutigend für alle, die sich ohnmächtig fühlen in der VUCA*-Welt. Viele blicken angstvoll in die Zukunft.

Ich sehe große Chancen für uns alle in dieser Zeit. Begegnen wir uns empathisch, tauschen wir uns konstruktiv aus, nehmen wir eine fragende Haltung ein, lernen wir voneinander und reflektieren wir uns selbst. Dann entdecken und gestalten wir gemeinsam unsere Lust auf Zukunft.

Dein Tipp für Personaler*innen, die Fach- und Führungskräfte fit für die VUCA-Welt machen wollen?

Ich bin davon überzeugt, dass Unternehmen nur weiterkommen, wenn sie in Zukunft ihre Teams konsequent stärken und Selbstorganisation fördern. Auch das gelingt nicht ohne Selbstreflexion. Bisher war das klassische Modell der Personalentwicklung: Wir haben eine Zielgruppe, die Kompetenzen braucht. Etwa so: Wir trainieren unsere Monteure, kundenorientiert zu kommunizieren. Solche Standard-Seminare nach dem Gießkannen-Prinzip - die überdies ausgewählten Teilnehmer*innen vorbehalten sind - greifen zu kurz. Heute arbeiten Teams nur dann erfolgreich, wenn sie ihre eigenen Ziele definieren und selbst erkennen: Das sind die Kompetenzen, die wir brauchen, um unsere Ziele zu erreichen.

Deshalb empfehle ich, Personalentwicklung selbstverständlich mit einem Programm der Teamentwicklung zu kombinieren. Denn die Aufgaben in unserer Welt sind derart komplex, dass sie von einzelnen Personen - ganz gleich wie gut sie qualifiziert sind - nicht lösbar sind.

Nur ein intelligentes und sinnvolles Miteinander vermag, die Probleme der Zukunft zu lösen. Zukunftsweisende Innovationen werden immer eine Teamleistung sein. Und kluge Unternehmen stellen sich darauf ein.

 

Liebe Manuela, vielen Dank für das Gespräch.

 

Manuela Dollinger, Augsburg, gründete 2002 das Trainer-Netzwerk Competence on Top. 18 Jahre lang war sie dort als Geschäftsführerin und Ausbildungsprogramm-Leiterin verantwortlich für die inhaltliche, konzeptionelle, methodisch-didaktische und kundenorientierte Entwicklung der Lernangebote. Bis heute ist sie dem Netzwerk als Trainerin und Ausbildungsprogrammleiterin verbunden. Die Diplom-Kauffrau mit Schwerpunkt Personal sowie Arbeits- und Organisations-Psychologie war ehemalige Leiterin Personalentwicklung der HILTI GmbH in Kaufering. Seit 1991 ist sie selbständig als Trainerin, Führungskräfte-Coach, Personal- und Organisationsentwicklerin.

www.competenceontop.com

 

*VUCA ist ein Kürzel aus den Anfangsbuchstaben der vier englischen Begriffe Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. VUCA beschreibt, wie flüchtig, unsicher, komplex und mehrdeutig unsere digitale Welt ist.

 

 

Ein persönliches Wort zum Schluss

Ich habe Manuela Dollinger im Januar 2012 im Train-the-Trainer-Kurs bei Competence on Top kennengelernt. Seinerzeit war ich mitten in meiner Existenzgründung. Manuela hat mir als Trainerin wertvolle Impulse und handfeste Methoden mitgegeben, dir mir enorm geholfen haben, mein Business aufzubauen. Über die Jahre folgten weitere Kurse bei Competence-on-Top: Zuletzt im Oktober 2022 der Online-Transformation-Coach - wieder mit Manuela. Ich war einmal mehr begeistert von ihrer bodenständigen Tiefe und Klarheit im Vorgehen, von ihrer Kommunikationsstärke und wertschätzenden Nähe zu den Teilnehmer*innen. So ist die Idee für diesen Blogpost entstanden. Danke, liebe Manuela, für dieses ermutigende und aufschlussreiche Interview.

 

***Veranstaltungstipps*** 

30. Mai bis 3. Juni 2023 in Freiburg im Breisgau | Intuitionsseminar: 

Ganz bei mir und ganz bei dir: Der Intuition auf der Spur

 

In meinen Workshops zum intuitiven Schreiben geht es um Lebensthemen. Jeden letzten Freitag im Monat veranstalte ich 90 Minuten intuitive Schreibzeit zu einem Thema, das die Schreibenden unter meiner Anleitung Wort für Wort reflektieren.

28. April 2023 | Mein Perfektionismus und ich

26. Mai 2023 | Meine Trauer gehört mir! 

 

***Top-Tipp*** | 10-Wochen-Programm

ab 13. September 2023 | Autobiografisches intuitives Schreiben | Deine Geschichte ist deine Stärke

 

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