Auf welchem ideellen Fundament basiert agiles Arbeiten?
Agilität basiert auf fünf Werten, nämlich Selbstverpflichtung, Offenheit, Mut, Fokus und Respekt. Wer ein Haus baut, weiß: Fehlt das Fundament oder ist es schlecht gebaut, droht das Gebäude einzustürzen. So ist das auch mit Teams, die agile Werkzeuge wie Scrum, Kanban oder Design Thinking nutzen. Wenn sie die Werte nicht leben, bleiben die erhofften Ergebnisse aus.
Jede und jeder verpflichtet sich selbst aus innerer Überzeugung, mit vollem Engagement stetig Abläufe und die Dienstleistungen zu verbessern.
Haben Sie ein Beispiel dazu?
Ja, natürlich. Ein Beispiel, das mir in meinem Seminar begegnet ist: Ein städtischer Betrieb arbeitet daran, Abrechnungen zu digitalisieren. Zwei Tage vor dem Zieltermin taucht ein massives Problem auf. Das Team kommt sofort virtuell oder präsent zusammen, um die Ursache zu finden und räumt dem Projekt erste Priorität ein. Mit Erfolg. Die Führungskraft erfährt erst dann davon, als das Problem längst gelöst ist. Sich so zu fokussieren und alles andere liegenzulassen, erfordert wiederum Mut und Offenheit. Es hätten Fehler passieren oder die Suche nach der Ursache scheitern können.
Was zeichnet agile Führung aus?
Agiles Arbeiten ist kein neuer Führungsstil. Es besagt, dass sich Vorgesetzte und das gesamte Team zu den agilen Werten bekennen und situativ führen. Agile Führungskräfte fördern das Querdenken. Sie ermutigen, Bestehendes zu hinterfragen und Fehler zu riskieren. Sie regen an, neue Wege zu gehen. „Was hätten Sie gemacht, wenn Sie früher davon erfahren hätten?", frage ich den betroffenen Vorgesetzten aus dem gerade genannten Beispiel: „Nichts, außer meinem Team den Rücken freizuhalten."
Das ist agiles Führen. Es bedeutet auch, loszulassen, zu vertrauen und sich gegenseitig zu respektieren.
Sie sehen, alle Werte hängen eng miteinander zusammen. Also: Ihre Haltung zeichnet agile Führungskräfte aus. Die einen leben die Werte vor und handeln danach. Andere probieren agile Werkzeuge aus, um zu sehen, welche Methoden funktionieren. Beides ist geeignet; erfordert allerdings unbedingt, dass die Menschen aus sich selbst heraus motiviert sind.
Ist agiles Arbeiten für Kanzleien relevant?
Die Art, wie wir arbeiten und wo wir arbeiten, befindet sich im Wandel. In Kanzleien dominieren leistungsorientierte Werte. Ziele, Kennzahlen, strategische Planungen oder Prämiensysteme lenken die Führung. Doch inzwischen haben sich die Mitarbeiterbedürfnisse verändert.
Früher war es schick, für Status oder Gehalt Überdurchschnittliches zu leisten. Heute stehen Freizeit, flexible Arbeitszeiten und Selbstbestimmtheit hoch im Kurs. Mitarbeiter lassen sich Überstunden nicht mehr auszahlen, sondern bevorzugen den Freizeitausgleich.
Statt mehr Gehalt handeln Rechtsanwaltsfachangestellte lieber einen freien Tag aus. Agiles Führen meint auch: Das Team organisiert sich selbst, jeder hat Freiräume. Das alles läuft, weil jeder dahintersteht. Besonders Kanzleien, die schwer Personal finden – etwa in ländlichen Gegenden –, machen sich so als Arbeitgeber attraktiver.
Was bedeutet das für die Mitarbeiter?
Ein agiler Wert ist die Offenheit. Es ist gewollt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alles offen äußern. Wenn die Führungskraft das agile Wertesystem in seinen Führungsalltag integriert, dann ändert sich ganz bestimmt etwas. Das merken die Mitarbeiter und wundern sich womöglich. Deshalb:
Schaffen Sie Transparenz und sorgen Sie für Klarheit. Erläutern Sie das neue Mindset. Erarbeiten Sie gemeinsam, was sich ändert, wenn sie agil arbeiten.
Wer agil führt, ist offen für neue Ideen; vorausgesetzt die Vorschläge orientieren sich an den Zielen und Aufgaben. Ein sogenanntes Daily eignet sich etwa als Einstieg wunderbar. Das ganze Team trifft sich jeden Morgen fünfzehn Minuten lang. Jede und jeder berichtet informell, was sie oder ihn bewegt, beschäftigt oder bremst. So zeigt sich, wer Hilfe braucht und wer wen womit unterstützen kann. Das Kanban-Board erleichtert die Organisation. Dort visualisieren die Teammitglieder ihre To-dos. Sie dokumentieren, wer welche Aufgaben übernimmt und markieren, was bereits erledigt ist.
Was empfehlen Sie Kanzleispitzen?
Es ist elementar, dass Führungskräfte lernen, mehr und mehr die Bedürfnisse der Mitarbeitenden und Mandanten, und damit die Kanzleiziele, in das Zentrum zu stellen. Entscheidend ist es, sich flexibel danach auszurichten. Ich bin davon überzeugt:
Wer sich auf das agile Mindset konzentriert und sein Handeln daran orientiert, wählt intuitiv den richtigen Weg. Alle Werkzeuge und Methoden sind genaugenommen Mittel zum Zweck, nämlich unsere Ziele zu erreichen.
Schlussendlich sind dann die Mandantschaft, das Team und die Kanzleiinhaberinnen und -inhaber zufrieden. Mit agilem Arbeiten verliert die Digitalisierung auch ihren Schrecken. Und Kanzleien erleben, dass neue Werte ihre Arbeitgeberattraktivität spürbar stärken.
Vielen Dank für das Gespräch.
Melanie Brandes, a metà Training & Beratung, ist Expertin für Projektmanagement und Leadership, Projektmanagement-Fachfrau (GPM), SCRUM Master, Trainerin (dvct), eTrainer (dvct) und Coach (dvct) im Großraum Frankfurt am Main. Sie macht Führungskräfte und Projektmanager, mit Methoden und Werkzeugen des klassischen und agilen Projektmanagements vertraut, damit sie souverän und individuell führen und arbeiten.
Das Interview "Agiles Führen: Ein neues Mindset für Kanzleien" ist im Beck-Stellenmarkt erschienen und in der NJW Neue Juristische Wochenschrift 21/21.
Susanne Kleiner
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